Mich interessieren Menschen - interview mit Susanne Bier

Bild von Sebastian Lorenz
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Eigentlich spricht Susanne Bier nicht gerne darüber, was die 'Message' in ihrem neuen Film In Einer Besseren Welt ist. Das soll das Publikum allein herausfinden.

Trotzdem gibt es einiges, was sie gerne bei unserem Gespräch über den Film erzählen möchte. In den Hauptrollen sind der Schwede Mikael Persbrandt sowie die dänischen Schauspieler Trine Dyrholm und Ulrich Thomsen zu sehen. In Dänemark ist der Film bereits ein Riesenerfolg.

»Der [dänische] Titel des Films lautet Die Rache, aber er hätte eigentlich auch gut Vergebung heißen können.«

»Er ist irgendwo zwischen diesen beiden Themen verankert. Damit verrate ich sicher nicht zu viel. Es geht dabei um zwei Familien, deren Wege sich auf recht intensive Weise kreuzen, eigentlich gegen den Willen der Erwachsenen.«

Ulrich Thomsen spielt Claus, der gerade seine Frau verloren hat und mit seinem Sohn Christian (William Jøhnk Juels Nielsen) von England zurück in seine kleine dänische Heimatstadt gezogen ist. Hier freundet sich Christian mit seinem Klassenkameraden Elias (Markus Rygaard) an, dem Sohn von Marianne (Trine Dyrholm) und Anton (Mikael Persbrandt). Beide arbeiten als Ärzte, Anton ist in einem Flüchtlingslager in Afrika stationiert.

Christian, voller Trauer und Wut, bringt dem eher ruhigen und zurückhaltenden Elias bei, wie man sich behauptet und sich gegen die Schikane der Mitschüler wehrt. Währenddessen steht der pazifistische Anton vor einem moralischen und ethischen Dilemma - man hat ihn gebeten, einen schwer verletzten, mordgierigen Warlord zu operieren.

Gewalt zeugt Gewalt

Die Themen Rache, Vergebung und Gewalt, die wiederum Gewalt erzeugt, gehören zu den wichtigsten Themen in beiden Erzählsträngen. In dem Moment, wenn die zwei Geschichten sich wie ein Spiegelbild gegenüberstehen, zeigt der Film, dass ein ungelöster Konflikt zu einem neuen, noch viel größeren und schlimmeren Konflikt führen kann.

»Die Konflikte sowohl auf der mikro- als auch auf der makroskopischen Ebene ähneln einander und folgen im Prinzip dem gleichen Muster. Das war unsere Absicht bei der Struktur«, erklärt Susanne Bier.

»Man ist natürlich verleitet zu glauben, dass der eine Konflikt wichtiger ist als der andere. Aber der Film versucht aufzuzeigen, dass es nicht so einfach ist.«

Einer der Vorgängerfilme von Susanne Bier, Brothers - Zwischen Brüdern (2004), thematisierte den Krieg in Afghanistan. Mit diesem Film und In einer besseren Welt vor Augen kann man sich nur fragen, ob die Regisseurin eigentlich politische Absichten mit ihren Filmen verfolgt.

»Ich denke nicht, dass meine Filme politisch sind«

»In meinen Filmen geht es um Moral, sie fassen ethische Probleme an, die meiner Auffassung nach politische Implikationen mit sich bringen. Aber ich persönlich finde es leichter, mich mit meinem ethischen Standpunkt zu identifizieren als mit meinem politischen. Darum möchte ich auch keinen politischen Film machen - ich würde mich nicht sicher genug fühlen bei dem, was ich tue. Natürlich gibt es bestimmte politische Fragestellungen, die klar umrissen sind. Man ist gegen mörderische Regimes, oder Regimes, die das Morden unterstützen. Aber dabei geht es mehr um eine grundlegende, menschliche Position als um eine politische.

Ihr Interesse liegt also eher auf schwereren moralischen und ethischen Fragen?

»Ich weiß nicht, ob sie schwerer sind, aber ja, sie interessieren mich.«

Konsequente Untersuchung

Man spricht bereits davon, dass Susanne Bier 'psychologische Melodramen' macht, und tatsächlich änderte sich mit ihrem Dogma 95-Film Open Hearts (2002) die Auswahl ihrer Sujets und ihre Erzählmethoden.

Zuvor hatte sie sich zwischen verschiedenen Genres bewegt, beispielsweise der Komödie Der einzig Richtige (1999) und dem Thriller Gnadenlose Verführung (1997). Mit Open Hearts, Brothers, dem Oscar-nominierten Nach der Hochzeit (2006), dem englischsprachigen Things We Lost in the Fire (2007) und In einer besseren Welt hat Bier jedenfalls einen Hang zu eben solchen großen Gefühlen gezeigt, die zu einem Melodrama dazugehören.

Diese Bezeichnung mag sie jedoch nicht besonders und betont, dass es sich um große Gefühle in 'einfachen' Dramen handelt.

»Vielleicht bin ich altmodisch, aber 'Melodrama' klingt für mich irgendwie nach Fälschung, nach etwas Reißerischem, und ich halte meine Filme natürlich für authentisch und ehrlich. Ich finde es gut, mit welchen Begriffen man meine Filme bezeichnet, aber Melodrama... Ich akzeptiere das jedoch. Man kann nicht alles unter Kontrolle behalten wollen - auch als Regisseur nicht.

Susanne Bier räumt allerdings ein, dass es in ihren Filmen um einige Themen und Probleme geht, die das Menschsein betreffen.

»Ich will mich nicht selbst als Künstlerin bezeichnen, aber es ist völlig in Ordnung, wenn Künstler sich selbst wiederholen«, sagt sie.

»Dadurch kann man Dinge in gewisser Weise konsequent und dauerhaft untersuchen. Wenn man sich bildende Künstler anschaut, gibt es einige, die immer wieder das gleiche Bild malen, aber dennoch fasziniert es einen. Das rührt von einer sehr ausgeprägten Form der Neugierde her. «

Da stecken noch viele Filme drin

Das heißt nicht, betont Bier, dass sie glaubt, eine effektive und treffsichere Formel gefunden zu haben, der sie einfach nur folgen muss, wann immer sie ein neues Projekt in Angriff nimmt.

»Jedes Mal, wenn ich einen Film mache, frage ich mich, wie ich das Thema angehen soll, wie ich die Substanz des Films finden kann. Und dann werde ich leicht nervös«, erzählt sie.

»Ich habe großen Respekt vor dem Arbeitsablauf. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir die Dinge zufliegen, und es würde mich auch beunruhigen, wenn ich es anders empfände. Das würde bedeuten, dass ich meinen Bezug zum Filmemachen verloren hätte, denn man fängt an, oberflächlich und mechanisch zu arbeiten, dadurch entstehen höchstens langweilige Filme.«

Und die Regisseurin hat noch einige Genres offen, die sie gerne ausprobieren würde.

»Im Inneren frage ich mich: "Wann mache ich ein großes historisches Drama? Wann drehe ich meine nächste Komödie?" Ich würde gerne mal einen Thriller drehen. Ich interessiere mich wirklich für Menschen. Und dieses Interesse würde ich irgendwann gerne auf andere Weise zum Ausdruck bringen. Ich habe das Gefühl, dass ich noch ganz ganz viele Filme machen werde.«

Natürlicher Dialog

Susanne Bier hat In einer anderen Welt zusammen mit Anders Thomas Jensen geschrieben, der ebenfalls Filmregisseur ist (The Green Butchers, Adams Äpfel). Dies ist das vierte produzierte Drehbuch der beiden - nach Open Hearts, Brothers und Nach der Hochzeit. Aber eigentlich haben sie schon fünf Filme zusammen geschrieben, erklärt Bier.

»Wir haben ein Script für einen Dogma 95-Film geschrieben, der auf Nora basierte. Das war eine moderne Fassung des Ibsen-Stücks, die wir dann aber fallen gelassen haben. Es war spannend, wirkte dann aber etwas gemacht, ein bisschen gekünstelt.«

Man kann spüren, wie sehr Bier die Zusammenarbeit mit Anders Thomas Jensen schätzt, nicht zuletzt wegen seiner technischen Kenntnisse, durch die er viele Probleme lösen kann, vor denen man als Regisseur steht.

»Er hat einen ausgesprochen natürlichen Sinn für Dialoge, der sogar manchen amerikanischen Drehbuchautoren fehlt«, beschreibt sie ihren kreativen Sparringpartner.

»Und es gelingt ihm immer, seinen Texten etwas humorvolle Energie einzuhauchen, selbst wenn der Stoff noch so ernst ist. Bei gefühlsbetonteren Geschichten ist er ein bisschen zurückhaltend. Das gehört dazu, wenn man ihn kennt. Ich schlage etwas vor und er könnte sich wegen dieser Idee fast übergeben.«

Unterschiede sorgen für Überraschungen

Aber Unterschiede und Gegensätze sind, Bier zufolge, wirklich hilfreich. Sie helfen einem, Dynamik aufzubauen und Überraschungen zu erzeugen, z. B. indem man einen Schauspieler wählt, der ganz anders als die Figur ist, die er darstellen soll.

»Die Figur von Mikael Persbrandt, Anton, verkörpert einen sehr idealistischen Arzt, der in einem Flüchtlingslager arbeitet und dessen Einstellung zum Leben ganz bewusst pazifistisch ist«, sagt sie.

»Wir hätten einen Schauspieler auswählen können, der der Figur mehr ähnelt, einen softeren Typen. Wenn man sich für Mikael Persbrandt entscheidet, der die Namen all seiner Exfreundinnen quer über seinen Körper tätowiert hat und dafür bekannt ist, dass er Leuten auf die Nase geben und trinken kann, bis der Arzt kommt, dann rückt man ziemlich weit ab von dem Archetyp, der intuitiv in die Rolle passen würde. Das ist eine bewusste Entscheidung von mir gewesen. Zum einen ist es nicht besonders sexy, wenn dein Pazifist wie ein echter Pazifist aussieht; mit Mikael Persbrandt jedoch sieht das Ganze schon viel sexier aus. Was noch wichtiger ist: Es ist spannend, wenn deine Anschauungen und Erwartungen auf diese Weise herausgefordert werden - das spiegelt, glaube ich, in vielerlei Hinsicht das echte Leben wider. Unser Leben ist voller Ungewissheiten, und genau das ergründe ich gerne.«

Von Christian Monggaard, Journalist bei the newspaper Information