Akte X: Die Hintergründe

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Rechtzeitig zum Start des neuen Kinofilms bringen wir euch nochmal auf den Stand der Dinge. Wie war das nochmal gleich mit den X-Akten und wer konnte da mit wem nicht und warum?

DIE WAHRHEIT ÜBER AKTE-X

Die Serie Akte-X hat sich in den vergangenen 15 Jahren zum festen Bestandteil der Popkultur entwickelt. Im Verlauf ihrer Produktionszeit, zwischen 1993 und 2002, erlangte sie nicht nur Kultstatus, sondern wurde schnell auch zum populären Mainstream-Erfolg. Das in insgesamt neun TV-Staffeln und nunmehr zwei Kinofilmen etablierte Serienformat setzt sich in Romanen, Comics, Videospielen und nicht zuletzt in den Aktivitäten ihrer treuen Fangemeinde, den so genannten X-Philes, fort. Doch Akte-X ist mehr als ein Kultobjekt für Fans. Auf beispiellose Weise scheint die Reihe den Nerv ihrer Zeit getroffen zu haben und verkörpert somit selbst ein Stück Zeitgeschichte.

AGENTEN OHNE FURCHT UND TADEL

Die FBI-Beamten Fox Mulder und Dr. Dana Scully, forensische Wissenschaftlerin und Pathologin, arbeiten innerhalb der Behörde für eine Sonderabteilung, die sich mit ungeklärten und mysteriösen Fällen, den so genannten X-Akten, befasst. Agent Mulder lies sich aus persönlichen Gründen von der Abteilung für Kapitalverbrechen dorthin versetzen. Er ist davon überzeugt, dass seine Schwester Samantha im Jahr 1973, dem Jahr des Watergate Skandals, von Außerirdischen entführt wurde. Das Ereignis hat die Familie zerrüttet und symbolisiert zugleich den Vertrauensverlust in die Obrigkeit, denn in Mulders Erinnerung ist die Entführung seiner Schwester eng mit Watergate verknüpft.

Die Gerichtsmedizinerin Scully wurde Mulder als „Aufpasserin“ zugeteilt. Sie sucht stets nach rationalen Erklärung, während Mulder, durch die Familientragödie vorbelastet, überall Paranormales wittert.

AUF DEN SPUREN DER WAHRHEIT

The truth is out there ist das Motto der Serie und das dominante Thema innerhalb der X-Files ist in der Tat die Wahrheitssuche. Doch erweist sich diese Wahrheit als schwer fassbar und wissenschaftlich nicht immer nachvollziehbar. Die Aufgabe der skeptischen Scully, die Arbeit ihres Partners wissenschaftlich zu bewerten, gestaltet sich daher schwierig. Sie fungiert innerhalb der Erzählung als eine Art Augenzeugin oder Chronistin, die die eigene Wahrnehmung des Phantastischen anzweifelt und so den Standpunkt der Objektivität verkörpert. Sie hat somit eine Realität konstituierende Position inne.

RATIO VERSUS INTUITION

Akte X arbeitet durchaus bewusst mit dieser Paarung. Empirische Wissenschaft und Esoterik werden einander gegenübergestellt. Mulder und Scully selbst repräsentieren diese beiden Pole. Männlich und weiblich, rational und intuitiv, skeptisch und offen.

EIN IDEALES PAAR

Scully und Mulder sind Workaholics. Zwischen beiden knistert es oft, doch das Verhältnis bleibt platonisch. Mulder ist ohnehin ein Mensch, der Schwierigkeiten zu haben scheint, Beziehungen einzugehen. Er ist ein verschrobener Einzelgänger, der sich Fische hält, weil er mit den stummen Tieren nicht kommunizieren muss. Dennoch, oder gerade deshalb, ist es die ironisch-intime Art, in der Mulder und Scully miteinander reden, die die Zuschauer berührt. Zudem sind die klassischen Geschlechterrollen umgekehrt: Er ist intuitiv, sie pragmatisch und realistisch. Nach Jahren der nur latent vorhandenen sexuellen Spannung kommen sich die Special Agents schließlich doch näher. Das klare Trennungsmuster, einerseits die strikt ihrer Ratio folgende Pathologin und andererseits der intuitive Ermittler, werden aufgeweicht. Im Laufe der Handlung lernt jeder den Standpunkt des Anderen kennen und schätzen. Indem sie ihre eigenen persönlichen Standpunkte und Grundsätze durch den Anderen übersteigen, überwinden sie die Dualität der Werte und es gelingt ihnen, die scheinbar unlösbare Gegensätzlichkeit der Welt und des Lebens zu transzendieren. Die X-Files plädieren so für eine ausgleichende Harmonie zwischen klarem Verstand und einer Intuition, die nicht bloß reine Fakten wahrnimmt, sondern auch die weniger greifbaren Zusammenhänge erkennt.

ALLES VERSCHWÖRUNG

Durch ihre Arbeit kommen die Agenten einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur, hinter der ein Syndikat steckt, eine Schattenregierung in Gestalt eines globalen Geheimbundes. Die Regierung betrügt und verrät die Bevölkerung nach Strich und Faden. Es geht um die Kolonisierung der Erde durch eine vermutlich außerirdische Spezies. Lügen, Intrigen und Attentate sind das tägliche Handwerk der Männer im Hintergrund. Wahrheit und Lüge liegen zu eng beieinander, als dass man sie eindeutig unterscheiden könnte. Die tatsächliche Dimension und die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln. Den Häuptern der Hydra gleich tun sich hinter jedem gelösten Rätsel neue Ablenkungsmanöver und Fragen auf.

RAUCHEN IST TÖDLICH

Eine herausragende Position innerhalb des Syndikats nimmt der geheimnisvolle Kettenraucher ein. Dieser „Krebskandidat“ ist eine undurchsichtige Person, deren wahre Identität im Dunkeln bleibt. Er verkörpert die Macht der Regierung, die nur das an die Öffentlichkeit dringen lässt, was sie für richtig hält. Dieser Mann, der eigenhändig für die Ermordung John F. Kennedys verantwortlich ist, war lange Zeit Mulders und Scullys gefährlichster Widersacher. Erst in der letzten Episode holt ihn sein Schicksal ein und er verbrennt in der Glut eines gewaltigen Explosionsfeuers.

FREUND ODER FEIND?

Einige, zwielichtigen Personen aus den Reihen der Verschwörer unterstützen Mulder jedoch auch bei seinen Ermittlungen. Deep Throat, ein namenloser Regierungsbeamter, war Mulders hochkarätiger Kontaktmann, der ihm dabei half, die Wahrheit aufzudecken. Er wurde am Ende der ersten Staffel auf offener Straße erschossen.

Mister X ist ebenfalls eine bedeutende Quelle aus Reihen der Schattenregierung, der nach Deep Throats Tod dessen Aufgabe übernommen hat, Agent Mulder zu unterstützen. Aber auch er wird ermordet, und seine Nachfolgerin ist Marita Covarrubias. Alle drei dieser Helferfiguren, Deep Throat ebenso wie seine Nachfolger Mr. X und Marita Covarubias, erscheinen häufig als eine Art Deus ex Machina. Die Insiderinformationen, mit denen sie Mulder versorgen, sind häufig der Schlüssel, der ihn auf die entscheidende Spur bringt. Doch auch diese machtvollen Gestalten sind ambivalent. Nie kann man sicher sein, ob sie versuchen Mulder zu helfen oder ihn daran zu hindern, die Wahrheit zu finden. Dass so viele von ihnen bereits Tod sind zeigt jedoch, welches Risiko sie eingehen und dass sich bei Akte-X jeder in ständiger Gefahr befindet.

Eine bedeutende Nebenfigur, die den Handlungsverlauf bisher überlebt hat, ist Walter Skinner. Der stellvertretende Direktor des FBI befindet sich ständig zwischen den Fronten. Auch er möchte die Wahrheit finden und Mulder und Scully bei ihrer Arbeit unterstützen. Doch wird er häufig durch seine Vorgesetzten, die in den Diensten des Syndikats stehen, daran gehindert.

WEGWEISER AM SERIENHIMMEL

Die Serie markierte nicht nur den Beginn des Mysterybooms der 90er Jahre sondern übte auch stilistisch einen starken Einfluss auf nachfolgende Fernseh- und Kinoproduktionen aus. Das Konzept des Episodenübergreifenden Handlungsverlaufs etwa, das inzwischen für Serien wie 24, LOST oder Heroes Usus ist, hat seinen großen Erfolg letztlich den X-Files zu verdanken.

Düstere, oft beklemmende und klaustrophobische Bilder transportieren die undurchsichtigen Handlungsstränge. Durch die starke Gewichtung auf Bild und Ton, die eher für den Film als für das Fernsehen charakteristisch ist, erhalten die Dialoge noch eine größere Bedeutung als bei den in Prä-Akte-X-Zeiten üblichen, textdominierten Fernsehproduktionen. Die visuelle Gestaltung der X-Files entfaltet eine eigene künstlerische Handschrift. Gleissend-blendendes Licht, Schatten, Silhouetten und Dunkelheit sind die prägnantesten Merkmale der mise-enscène. Die Darstellung klaustrophobisch enger Räume, die Verwendung verstörender Soundeffekte, der ikonographische Einsatz von Kostümen, Chiaroscurobeleuchtung sowie das Spiel mit Licht und Farbe etablieren den atmosphärischen und emotionalen Tenor, der von einer pessimistischen Sicht auf das materialistische, rein rationalistisch geprägte Weltbild zeugt.

ZEITGEISTBAROMETER

Die aufbereiteten parapsychologischen Phänomene spiegeln Urängste wieder. Verschiedentlich wurde die Vermutung geäußert, dass zwischen der zunehmenden Konjunktur solcher Angstszenarien in den 90er Jahren und dem bevorstehenden Jahrtausendwechsel, ein Zusammenhang besteht.

Viele Menschen scheinen eine Sehnsucht nach dem Unerklärlichen zu teilen. Wer möchte nicht irgendetwas sehen, dass unsere Schulweisheit nicht erklären kann. Wer möchte nicht gerne die Erfahrung machen, dass dort draußen irgendetwas ist, das größer ist als wir selbst. Auch 300 Jahre Aufklärung haben daran offenbar nichts geändert. Es zeigt vielmehr, wie groß das ideelle Vakuum in einer restlos entzauberten und verwalteten Welt ist. Wer mag schon gerne glauben, dass das Universum nur ein Zufallsprodukt, das Leben definitiv endlich und unser Heimatplanet nur ein winziges Staubkorn auf seiner sinnlosen Odyssee durch die galaktischen Weiten ist?! Fast jeder hat schon einmal etwas am Himmel entdeckt, dass er nicht auf Anhieb zuordnen konnte oder von der amerikanischen Kleinstadt Roswell gehört, über der vor knapp 60 Jahren ein Ufo-Absturz stattgefunden haben soll.

DICHTUNG UND WAHRHEIT

Die Storys wandeln häufig auf dem schmalen Grat zwischen Wissenschaft und abergläubischen Phantasmagorien. Die Handlung basiert meist auf einer faktischen Grundlage, von der aus dann frei weiterfabuliert wird. Filmische Realität und Fiktion vermischen sich, ohne dem Zuschauer klare Abgrenzungen vorzugeben. So ist etwa das Syndikat eine der Majestic 12 Gruppe nachempfundene Vereinigung älterer Herren, die skrupellos, die Fäden im Hintergrund ziehen. Majestic 12 soll der Codename eines Geheimkomitees gewesen sein, das laut einer populären Verschwörungstheorie angeblich 1947 in den USA gegründet wurde, um sich mit der Untersuchung und Vertuschung des angeblichen Ufo Absturzes bei Roswell zu befassen. MJ-12 ist laut dieser Theorie für alle wissenschaftlichen Operationen auf der Area 51, einem streng abgeschirmten Militärgelände, auf dem die Überreste des Ufo-Wracks aufbewahrt werden sollen, zuständig. Die X-Files übernehmen dieses Konzept nahezu unabgewandelt, reichern es jedoch um weitere Elemente an. So wird eine Verbindung der MJ-12 Gruppe mit der Operation Paper Clip konstatiert. Im Gegensatz zu Majestic 12 handelt es sich dabei um ein historisch authentisches, militärisches Geheimprojekt, bei dem, nach der Niederlage des Dritten Reiches, deutsche Wissenschaftler in die USA eingebürgert wurden, da deren Wissen für eigene Zwecke rekrutiert werden sollte. NS-Belastungen spielten bei der Auswahl keine Rolle, da das militärtechnische Eigeninteresse der USA überwog.

Auch der von Jerry Hardin dargestellte Deep Throat ist an den gleichnamigen Kontaktmann angelehnt, der während der Watergate-Ermittlungen die Journalisten Bernstein und Woodward mit Informationen versorgte. Hal Holbrook spielte die Rolle in Alan J. Pakulas Film All the Presidents Men und Donald Sutherland verkörperte in Oliver Stones Politthriller JFK einen ähnlichen Charakter.

BRICOLAGE

Aber auch TV-Klassiker wie The Twilight Zone und der Verschwörungs-Thriller The Parallax View standen für die Serie Pate. Die X-Files bedienen sich in der einschlägigen Ufo- und Paranoia-Literatur ebenso wie aus B-Movies der 50er Jahre. Die gekonnte Mischung dieser neuen Mystery-Gattung vereint Elemente der Gothic Novel mit Fantasy, Science-fiction, den Verschwörungstheorien des Politthrillers und der Dramatik des Katastrophenfilms. Klassische Märchenmotive mischen sich mit modernen Mythen. Akte-X ist voll von Anspielungen, weshalb sie die Fans zu intellektuellen Gedankenspielen geradezu herausfordern. Ein Grund für den Zuschauerzuspruch, sowohl im Fernsehen als auch im Kino.

WAS BRINGT DIE ZUKUNFT?

Wenn Akte-X so sehr im Zeichen des programmatisch eingeläuteten Milleniums stand, welche Bedeutung hat die Serie dann noch am Beginn des 21. Jahrhunderts? Waren die XFiles am Ende nicht mehr als ein Hype der Generation-X, mit ablaufendem Verfallsdatum? Im Gegenteil! In Zeiten der Anti-Terror-Bekämpfung ist Akte-X vielleicht aktueller denn je. In diesem Klima diffuser Bedrohung wird die Privatsphäre zunehmend zu einem Luxus. „Man muss immer auf der Hut sein“, hört man schon die Verschwörungsparanoiker rufen, „man weiß nicht, wer einen gerade filmt, wer Telefonate mitschneidet, wer Nachforschungen anstellt.“ Die Angst der Bevölkerung vor unkontrollierbaren und intransparenten Machtstrukturen hat Hochkonjunktur. Das belegen auch aktuellere Serienerfolge wie 24 oder LOST, die ihrerseits ohne die Vorarbeit durch die X-Files nicht denkbar gewesen wären. Vor sechs Jahren, am Ende der letzten Staffel, ist es Agent Mulder endlich gelungen, dass große Geheimnis des Syndikats zu lüften. Am 23. Dezember des Jahres 2012 erwartet die Menschheit das Armageddon in Gestalt einer Invasion durch Außerirdische. Die beiden Agenten mussten nach dieser Entdeckung in den Untergrund abtauchen um ihr Leben zu schützen und versuchen seither die Katastrophe abzuwenden. Ob ihnen das gelingt wird sich möglicherweise am 24. Juli herausstellen. Wer weiß? Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen!

Autor: Dr. Christoph Nuehlen
Literatur (Auswahl):
Wiemker, Markus: Trust no Reality; Berlin 1998
Feise, Patricia: Science – Sex – Gender; Berlin 2005
Wilson, Robert Anton: Das Lexikon der Verschwörungstheorien; Frankfurt a. M. 2000
Nuehlen, Christoph: The X-Files Disclosed; Remscheid 2008

Trailer zum Film